Ich würde ja gerne laufen..

Blog_Wunderhochzeit

Artikel geschrieben von:

Cristina Wunder

Ein kräftiger Mann im Anzug, die grauen Haare kurz geschnitten, das Gesicht erhitzt, als hätte er gerade einen Marathon hinter sich, wartet auf den Aufzug. Ungeduldig und genervt schaut er auf seine Uhr, ganz nach dem Motto: „Zeit ist Geld“.
Als der Lift endlich da ist, beschwert er sich lautstark, als er sieht wie voll der Aufzug ist.
Mit bösem Blick steigt er ein und murmelt: „Es gäbe doch noch eine Treppe! Dafür habe ich aber keine Zeit!“ Wieder der Blick auf seine protzige Armbanduhr.
Wie um seine Worte zu unterstreichen, wischt er sich mit einem Taschentuch über die Stirn, auf der kein Schweißtropfen zu sehen ist, und seufzt laut.
Einige Mitreisende nicken zustimmend und rücken noch enger zusammen, um zu zeigen, wie eng es ist. Der Aufzug öffnet und schließt sich einige Male ohne Fahrt, um anzuzeigen, dass er überfüllt ist.
Ich will gerade aussteigen, um Platz zu machen, als plötzlich aus dem hinteren Teil eine Stimme ertönt: „Nein, nein, bleiben Sie! Ich glaube ich bin zu schwer.“
Alle drehen sich jetzt zu dem jungen Mann um.
Sein dunkelblondes, volles Haar fällt in einem modernen Kurzhaarschnitt leicht in sein attraktives Gesicht. Er lässt seinen Blick über uns schweifen und streicht sich lässig eine vorwitzige Strähne hinter das Ohr.
Sein Lächeln lässt ihn noch jünger wirken und verleiht ihm etwas Lausbubenhaftes.
In seinen unglaublich blauen Augen, die mich an einen erfrischenden Bergsee im Sommer erinnern, kann ich nichts als Freundlichkeit entdecken.
Er wendet sich dem kräftigen Mann mit dem roten Gesicht zu und lässt seinen Blick von oben nach unten schweifen. Seine Stimme ist immer noch ruhig, als er fortfährt: „Also, wenn ich könnte, würde ich die Treppe nehmen, aber wie Sie sehen, geht das leider nicht.“
Jetzt schweigen alle im überfüllten Aufzug, denn der junge, freundliche Mann sitzt im Rollstuhl.

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